,,Du weißt, dass eine Party gut wird, wenn dein gesamtes Viertel deswegen abgesperrt werden muss." - Shaker Amer.
Es fällt nicht jeden Tag eine Hildesheimer Party vom Himmel. Umso relevanter ist es, wenn genau das eben doch passiert. Demnach sehe ich mich dazu verpflichtet, die Stimme zu sein, die diese Stadt hier so dringend benötigt: die Stimme der Unvernunft. So auch am 11. März, dem Tag des 500. Reformationsjubiläums. Zu Ehren des Tages wurden über 400 Gäste zu einem Gottesdienst in der Michaeliskirche eingeladen, u.a. Angela Merkel und Joachim Gauck. Zugegeben, ein Gottesdienst gilt für gewöhnlich nicht als Party im herkömmlichen Sinne, doch wie lange ist es her, dass so viele Menschen in Hildesheim am selben Ort waren? Exakt.
Eine komplette Nachbarschaft in Panik. ,,Wohin mit unseren Autos, wohin mit uns?" hieß es eine ganze Woche lang in verschiedenen Nachbarschaftsforen, auf Balkons, sogar zwischen Tür und einer anderen Tür. Irgendwas lag in der Luft und ich wusste beileibe nicht, was. Die Straße war so leer wie Hildesheim in der vorlesungsfreien Zeit. Doch dann flog mir der Grund in Form von zu vielen Regionalzeitungen aus meinem Briefkasten ins Gesicht: Merkel kommt. Doch warum? Reformation schön und gut, aber Hildesheim? Niemand hätte ja ahnen können, dass diese Stadt mit Dom und fünf Kirchen eine derartig große, religiöse Bedeutung haben würde. Ich sah mich dazu bestimmt, dem Ganzen auf den Grund zu gehen.
Ich kämpfte mich durch spätwinterliche Verhältnisse zum Schauplatz und war binnen zwei Minuten da. Zu aller Überraschung traf dies auch auf eine Vielzahl anderer Bewohner zu. Gefangen hinter Absperrungen aus Metall, zusammengepfercht wie Tiere im Zoo. Waren wir noch das Publikum, oder waren wir schon die Hauptattraktion? Zwangsfütterung durch Kuchen und Kaffee. Die Presse lauerte an jeder Ecke, presste jedermann Mikrofon und Kamera in die Poren des Gesichts. Existenzielle Fragen à la ,,Warum sind Sie hier?" wurden vom Average Joe Südniedersachens abgebrüht mit ,,Um zu sehen, wo unsere Steuergelder hingehen...und, ist natürlich n historischer Moment. Aber hauptsächlich wegen der Steuergelder-Sache." gekontert. Ach, Deutschland.
Aus dem Nichts erschien der Polizeieskort, aus dem Etwas folgte dann, wie nach dem Polizeieskort erwartet, die Bundeskanzlerin. Statt dem Volk sofort den Rücken zu kehren, so kam sie zurück. Zurück auf die andere Seite. Zurück an die Wurzel der Nation. Händeschütteln und Selfies mit Flüchtlingen: sie war nahbar. Mensch. War sie noch die Hauptattraktion, oder war sie schon das Publikum? Ehe sich die Nation auf eine Antwort einigen konnte, verschwand sie auch wieder im Mantel der einbrechenden Dunkelheit. So langsam sie kam, so schnell ging sie auch wieder. Es musste schließlich durch einen Gottesdienst gesessen werden.
Aber dort hörte es nicht auf. Stillstand ist unerwünscht, es muss immer weiter und weiter gehen. Weiter, zum Public Viewing des Gottesdienstes in der Andreaskirche. Gesagtes wurde vom draußen drohenden Wind durch mein Hirn gepustet, doch die Menschen schienen glücklich. Der Geist der Weihnacht hatte sich tief in ihren Herzen verwurzelt. Sie beteten mit dem realen Publikum des realen Gottesdienstes, sangen mit dem realen Chor und der realen Mädchenkantorei des Hildesheimer Doms, als sei die Vereinigung der beiden großen Kirchen bereits geschehen. Wenn nicht die Orgel gewesen wäre. Die Masse sehnte sich nach mehr Ökumene, doch ich überlegte mir nur eine clevere Strategie, dem Ganzen zu entkommen, ohne aufgrund meines zu zentralen Sitzplatzes in der Reihe für eine Szene zu sorgen. Mehr ,,Danke, Merkel"-Pointen konnte ich an diesem Tag schlicht und einfach nicht mehr verarbeiten. Zum Dank erhielt ich verurteilende Blicke. Vor einer Stunde noch einer von ihnen, doch nun Abschaum ohne Eindruck. Liebe deinen Nächsten, doch nicht, wenn er anders ist. Welch treffendes Fazit.
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